Die sog. „sibirische Räumung“

Die sog. „sibirische Räumung“

08. Januar 2012 | Bau- u. Immobilienrecht | von Prof. Dr. Ralf Stark

Mancher Vermieter wird schon in der Situation gewesen sein: Der Mieter zahlt keinen Mietzins, zieht – trotz erfolgter Kündigung – nicht aus, verbraucht aber gleichwohl Wasser, Strom und produziert Heizkosten, ohne auch nur diese (Neben-) Kosten zu zahlen. In dieser Situation stellt sich die in der Rechtsprechung höchst umstrittene Frage, ob der Vermieter berechtigt ist, die Versorgungsleistungen einzustellen. Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über dieses praxisrelevante Thema, nach der „Jahrhundertentscheidung“ des Bundesgerichtshofs vom 06.05.2009.

Die Frage, ob der Vermieter während oder nach Beendigung des Mietverhältnisses berechtigt ist, die Versorgung mit Energieleistungen, namentlich der Lieferung von Heizungswärme, einzustellen, war bis noch vor kurzer Zeit eindeutig und mit einem klaren nein zu beantworten. Vermieter, welche die „Auszugs- oder Zahlungsbereitschaft“ ihrer Mieter dadurch fördern wollten, dass sie die Versorgungsleistungen einstellten, wurden innerhalb kürzester Zeit durch einstweilige Verfügungen ihrer Mieter verpflichtet, die Versorgungsleistungen wieder aufzunehmen, da die Rechtsprechung, insbesondere auch das Oberlandesgericht Köln (Beschl. vom 26.04.2004, Az: 1 U 68/03) die Ansicht vertrat, dass die Unterbrechung mit Versorgungsleistungen eine Besitzstörung darstellt. Diese Rechtsprechung war in der Vergangenheit für den Vermieter höchst unbefriedigend und objektiv auch widersprüchlich. Denn von dem Vermieter wurde durch diese Rechtsprechung zum Einen genau das eingefordert, was der Mieter nicht tat, sich nämlich vertragstreu zu verhalten. Zum Anderen ist es schwerlich erklärbar, dass Versorgungssperren durch Energieversorger schon bisher statthaft waren (zuletzt LG Saarbrücken, Beschl. v. 11.05.2009; Az.: 5 T 236/09; ausdrücklich auch LG Düsseldorf, Urt.. v. 08.02.2006, Az.: 34 O (Kart) 219/05) das gleiche Verhalten des Vermieters indes als verbotene Eigenmacht gewertet wurde.

Mit dieser unbefriedigenden und widersprüchlichen Rechtssprechung hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 06.05.2009 sodann jedoch grundlegend gebrochen. Der Bundesgerichtshof vertritt nunmehr die Auffassung, dass die zur Nutzung des Mietobjekts erforderlichen Energielieferungen nicht Bestandteil des Besitzes und damit auch nicht Gegenstand des Besitzschutzes sein kann. Folglich liegt bei der Einstellung mit Energieleistungen auch keine verbotene Eigenmacht (mehr) vor, wodurch sich einerseits die „Zahlungs- und Auszugsbereitschaft“ der Mieter signifikant erhöhen und (hierdurch bedingt) anderseits die Zahl der Räumungsprozesse abnehmen dürfte

Praxishinweis:
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs erging zu einem Gewerbemietvertrag. Unklar bleibt, ob diese Rechtssprechung auch auf Wohnraummietverhältnisse übertragbar ist. Der Deutsche Mieterbund, der das Urteil in einer sofort veröffentlichen Stellungnahme als „problematisch“ bezeichnete, ging selbstredend davon aus, dass diese Rechtssprechung nicht auf Wohnraummietverhältnisse übertragbar sei (vgl. Handelsblatt vom 06.05.2009). Diese apodiktische Aussage ist mehr als fraglich, da der Bundesgerichtshof über diese Frage nicht zu entscheiden hatte.

Hinzuweisen ist des Weiteren, dass der Vermieter (jedenfalls im Gewerbemietrecht) gemäß der BGH-Rechtsprechung zwar zur sog. „Sibirischen Räumung“ berechtigt ist wenn er Vertragspartner der Versorgungsunternehmen ist. Dies gilt indes nicht, wenn der Mieter die Versorgungsleistung aufgrund eigener Vertragsbeziehung zum Versorgungsunternehmen bezieht.

In jedem Fall ist dem Vermieter bei der beabsichtigten „sibirischen Räumung“ zu empfehlen, dass er den Mieter ausdrücklich, schriftlich, nachweisbar und mit angemessener Fristsetzung (mind. 14 Tage) auf die beabsichtigten Maßnahmen hinweist.

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